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Vom Stolz und vom Skifahren

Aktualisiert: 26. Jan. 2021


In diesem ganzen Wirrwarr aus Erziehungszielen, dem dicht verstrickten Knäuel aus Dingen, die ich meinen Kindern mitgeben will, gibt es genau eine Sache, auf die ich schon jetzt mit Stolz blicke. Für die allermeisten Eltern ist es selbstverständlich, dass ihre Kinder Ski fahren. Sie fahren selbst, ergo fahren ihre Kinder. In meinem Fall ist das nicht so. Ich hasse Ski fahren. Die Skipiste ist mein persönlicher Höllenort.


Ich hege jede Art von Vorurteil gegenüber jeder Art von Skifahrer. Sie rasen. Bevölkern eigentlich idyllische Berghänge. Fahren dann doch abseits der Pisten, um auch dort maximal viel Schnee platt zu kriegen. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf mich, die da mit Pudding in den Knien auf halber Strecke fest steckt. Skifahrer kommen meist schnell und von oben. In ihrer irrwitzigen Skimontur machen sie mir von je her Angst.


Das Allgäu, Heimat einer seltenen Nicht-Skifahrerin


Dabei sollte ich an Skifahrer gewöhnt sein. Ich bin am unmittelbaren Alpenrand groß geworden - in den Tiefen des Allgäus, direkt hinter den Bergen. Nur zu gerne hätte ich mich den Winter über bei den sieben Zwergen versteckt. Nur gehen selbst die im Allgäu Ski fahren.


Keinen Steinwurf entfernt von meinem Elternhaus lag die erste Skipiste. Meine Kindheit war gespickt mit Skikursen. Trotz unzähliger, mühsamer Versuche waren meine Freunde ausgebildete Skilehrer, ehe ich auch nur einen Fuß in einen Schlepplift gesetzt hatte. Beim Anblick einer Piste riefen sie entzückt sowas wie „Powder!“. Mir brach mit sofortiger Wirkung der Schweiß aus beim Gedanken an noch mehr Schnee.


Albtraum Skilager


Das traditionelle Highlight meiner Klassenkameraden war bis zum Abitur das jährlich stattfindende Skilager. Mit Bussen wurde die ganze Klasse auf eine Alm gekarrt. In jeder Kurve den Berg hinauf klapperten hinten die Skier mit den Stöcken um die Wette - wie die Zähne eines alpenländischen Klabautermanns. Mir war eine Woche lang kotzschlecht, ich sah nur die Akias, die Verletzte abtransportierten, bekam Panik, wenn wir in Gondeln über tiefen Schluchten baumelten, hörte meine Knochen brechen, noch während ich am Lift anstand. Ich wollte nur hinab, hinab ins Tal und nichts wie nach Hause.


Damals schwor ich mir: Wenn ich jemals Kinder habe, müssen sie niemals Ski fahren! Nie, nie, niemals! Umso entsetzter war ich, als mir meine Erstgeborene um ihren vierten Geburtstag herum eröffnete, sie wolle am Kindergarten-Skikurs teilnehmen.


Was dann geschah...


Mein Impuls war es zu sagen, Skifahren ist schrecklich, bloß nicht, Du wirst Füße haben wie Eisklötze, Erfrierungen irgendeines Grades, aus dem Lift fallen, Dich verletzen, sie werden von oben kommen, aus allen Richtungen, Dich gradenlos umnieten. Aus unerklärlichen Gründen zuckte ich stattdessen mit den Achseln. Und meldete sie an.


Ausgerechnet meine Kinder fahren heute Ski! Ausnahmslos. Alle! Und jetzt kommt‘s: Sie tun‘s gerne! Selbst die Dreieinhalbjährige brüllt begeistert: „Skiifahn!“, wenn sie die ersten Schneeflocken vom Himmel fallen sieht. Am liebsten würde sie sofort in klobige, astronautenähnliche Stiefel steigen, sich zwei scharfkantige Bretter über die Schulter legen und todesmutig in den nächstgelegenen Tellerlift begeben. Hallo?


Im Pflug vorbei am Vorurteil


Ich kann es selbst nicht fassen. Aber heute zähle ich zu diesen stolzen Mütterwesen am Pistenrand, die in geradezu extaseähnliche Verzückungs-Zustände geraten, wenn ihre Kinder im Pflug die Piste hinunter gebremst kommen. Wenn meine Fünfjährige mit ihrem riesengroßen Helm, der verspiegelten Brille und in einem schaumstoffartigen Ganzkörperanzug auf mich zufährt, bekomme ich wässrige Augen wie damals, als sie als Neugeborene in meinem Arm lag und ihre ersten unverständlichen Laute gluckste.


Wie einst meine Schulfreunde haben meine Kinder in erster Linie eines auf der Piste: Spaß! Und mich durchströmt ein unbändiger Stolz, wenn ich meine Kinder über eine holprige Piste pesen sehe, wenn sie mit Freude all meine Vorurteile beiseite bügeln, wenn sie mir mit Schwung in die Arme fahren. Ich bin nicht stolz, weil sie Ski fahren. Ich bin stolz, weil sie sich trauen. Weil sie sich ungeachtet meiner Vorurteile selbst orientieren in dieser Welt. Das sehe ich als mein persönliches, unvermeidbares Pisten-Happy End.


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