An unserer Toilettentür hängt das Einmaleins. Es ist ein kleiner Zettel mit bunten Zahlen in Spalten und Zeilen. Meine Mutter hat ihn geschrieben für eins unserer Kinder. Es tat sich schwer. Das Einmaleins ist hier aber auch sonst niemandes Leidenschaft. Auch ich war nie ein Fan. Wir rattern das runter. Hilft ja nix. Muss eben. Bis irgendwann in hundert Jahren der Taschenrechner kommt.
Seit das 1x1 an unserer Klotür hängt, bin ich jedenfalls fit – zum ersten Mal in meinem Leben auch in der verhassten Neunerreihe.
„So einen Zettel hast du mir nie geschrieben!“, sage ich durchaus ein bisschen vorwurfsvoll in Richtung meiner Mutter.
„Doooch! Ganz bestimmt!“, verteidigt die sich empört.
Aber an so einen hübschen Zettel könnte ich mich erinnern!
Meine Mutter hat sich nie groß um schulische Belange gekümmert. Bei jedem Baby, das wir bekommen wollten, wies sie allerdings verlässlich wie freundlich darauf hin: „Vergiss‘ nicht: Da wird ein Schüler draus!“ Rückblickend muss unsere Schulzeit also auch für sie eine Herausforderung gewesen sein.
Auch wenn in meiner Erinnerung z.B. Noten bei uns zuhause nie eine besondere Rolle gespielt haben. Klar interessierte unsere Eltern, was der Hans-Jörg wieder in der Schulaufgabe hatte. Vielleicht verstanden sie Hansjörgs Brillanz aber auch einfach nur als interessanten Hinweis darauf, was so möglich gewesen wäre, als als Richtwert für die schulischen Leistungen ihrer eigenen Kinder.
Zumindest machten sie uns nie groß Druck.
Aktiv wurden unsere Eltern immer erst, wenn mal wieder der Übertritt für eine:n von uns gefährdet war oder ein:e Lehrer:in unerwartet zum Gespräch einlud. In Mathe bekamen wir Nachhilfe von einer Jahrgangsälteren aus dem Nachbardorf. Aber Hansjörgs blieb unerreicht. Seine Noten ließen sich nicht mal kaufen! Worüber sich niemand grämte, auch meine Eltern nicht. „Drei ist top!“, ist bis heute unsere Familiendevise. Und auch meinen Vater habe ich stets im Ohr: Bei zu vielen Einsern fehle es ganz sicher anderswo. Das beruhigte damals. Beruhigt bis heute.
Eltern auf dem Nil
Den ersten Elternabend in der Grundschule verpassten meine Eltern übrigens. Sie waren in Ägypten auf einer Reise, von der meine Mutter noch heute schwärmt. Als sie am Schuljahresende zum Sprechtag erschien, berichtete meine Erstklasslehrerin, sie hätte ihr zu Schuljahresbeginn meine Zurückstellung empfehlen wollen. Vielleicht war es also glückliche Fügung, dass meine Eltern zu diesem Zeitpunkt gerade glücklich über den Nil schipperten. Ich hätte ganz sicher nicht zurückgewollt in den Kindergarten!
Auch wenn mir dann womöglich das mit dem 1x1 leichter gefallen wäre. Vielleicht hätte so ein buntes Zettelchen an der Klotür aber auch schon ein kleines Rechenwunder bewirkt. Aber wer weiß das schon? Jetzt kann ich‘s ja: 8 x 9 ist 73.
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